01.-05.10.2025: Wanderfahrt Unstrut - Saale
von Jonas
Von Burgen, Wein und Schleusen
Man nehme 16 Ruderbegeisterte aus drei Vereinen (Märkischer Wassersport, Berliner Ruderklub Brandenburgia, Berliner Ruderclub Phönix), vier Boote unterschiedlicher Größe und einen ambitionierten Plan von Organisator Peter Moses (Brandenburgia) – heraus kommt eine unvergessliche Wanderfahrt auf Unstrut und Saale.
Unsere Flotte bestand aus:
- "Nachtigall" (VFSR Holzminden/Märkischer Wassersport): Ein blau-weißer Vierer.
- "Amelungsborn" (VFSR Holzminden/Märkischer Wassersport): Ein blauer Dreier.
- "Haveldüne" (Brandenburgia): Ein elfenbeinfarbener Vierer.
- "Müritz" (Brandenburgia): Ein roter Zweier.
Da wir nur 16 Leute waren, bedeutete das, dass einer der Vierer stets sportlich unterbesetzt unterwegs war. Unser Basislager für die gesamte Zeit war das Sporthostel in Weißenfels, von wo aus wir täglich zu unseren Start- und Zielpunkten pendelten – eine logistische Meisterleistung mit Autos, Bus und Bootsanhänger und einer Bahnfahrt.
Tag 1: Die Anreise und das griechische Gipfeltreffen (01.10.2025)

Die Boote waren bereits vorab reisefertig verladen, sodass wir am Mittwochabend gegen 18:30 Uhr in Berlin aufbrechen konnten. Drei Fahrzeuge stark – ein Bus, ein PKW mit dem wertvollen Anhänger und ein weiterer PKW mit den Ruderern aus Falkensee – machten wir uns auf den Weg.
Der Bus traf als erstes im Sporthostel Weißenfels ein und stand direkt vor der ersten Herausforderung: kostenpflichtige Parkplätze. Glücklicherweise waren diese für Hotelgäste auf erträgliche 2 Euro pro Tag reduziert und boten genug Platz, sogar für unser langes Gespann. Das Hotel selbst lag strategisch günstig an Stadthalle, Sportplatz und Festplatz – was sich später noch als... interessant... herausstellen sollte.
Nach dem Parken war das erste Ziel klar: ein griechisches Restaurant ("Yiamas") zum großen Treffen. Hier zeigte sich die Tücke der Logistik: Die PKW-Gruppe mit dem Anhänger fand genialerweise einen Parkplatz nur 20 Meter vom Griechen entfernt und war daher schon vor uns da. Wir (die Bus-Besatzung) mussten erst vom Hotel zum Restaurant laufen und trafen daher fast als Letzte ein. Kurz nach uns stieß auch Jorita (Märkischer Wassersport) dazu, die per Bahn angereist war. Die Gruppe war komplett.
Nach dem Essen ging es zurück ins Hotel zum Check-in. Die Zimmer wurden taktisch klug verteilt: nach Geschlecht und dem vermuteten nächtlichen Geräuschpegel der Insassen. Ich landete in einem 4-Bett-Zimmer (zwei Einzelbetten, ein Doppelstockbett) auf kuscheligen 15-20m² aber mit eigenem Bad. Alles einfach, aber zweckmäßig. Im Gemeinschaftsbereich wartete jeden Morgen ein solides Frühstück auf uns, was für die kommenden Tage Gold wert sein sollte.
Tag 2: Nebel, nasse Füße und nächtliche Bässe (02.10.2025)
Der Tag begann früh (Frühstück um 7 Uhr), frisch (ca. 5 Grad) und feucht. Ein dichter, fast mystischer Herbstnebel hüllte alles ein, die Sichtweite betrug teilweise kaum 50 Meter. Zu allem Überfluss verweigerte die Toilettenspülung in unserem Bad den Dienst – ein Start nach Maß.
Gegen 9:15 Uhr erreichten wir den Startpunkt in Roßleben (Unstrut-Kilometer 48,2). Der Steg des Ruderclubs Roßleben lag idyllisch an einer großen Wiese. Boote abladen, aufriggern und... kollektiv nasse Füße holen. Der Rasen war hoch und triefend nass vom Morgentau. Während die Fahrer die Autos zum Tagesziel brachten, vertrieben wir uns die Zeit mit kleinen Spaziergängen, um der Kälte zu trotzen.
Für die Verpflegung waren Äpfel organisiert worden. Ironischerweise bogen sich direkt neben dem Steg die Äste zahlreicher Apfelbäume unter der Last reifer, saftiger und unglaublich leckerer Früchte.

Um kurz nach 11 Uhr legten wir endlich ab. Bei Kilometer 43,8 (obwohl der DRV 44,6 behauptet) wartete die erste Schleuse: Wendelstein.
Während wir geschleust wurden, präsentierte sich über uns die gleichnamige Burg, als würde sie den endlich aufreißenden Nebel und den blauen Himmel begrüßen. Vorbei an der Kaiserpfalz, immer die Burg im Blick, glitten wir durch eine Landschaft, die mangels Uferbäumen hin und wieder den Blick auf weite Felder freigab.
Mittagspause war in Nebra geplant. Ein Teil der Boote legte am Biwakplatz des SV 1924 Nebra an, der Rest an der offiziellen Bootsanlegestelle. Leider schien Nebra im kollektiven Mittagsschlaf zu sein – fast alles hatte heute geschlossen. Ein Teil der Gruppe irrte hungrig durch die Stadt, fand aber schließlich Zuflucht (und Kuchen) im Hotel Schloss Nebra. Der heiße Zwiebelspeckkuchen für 4 € war jeden Cent wert und eine echte Stärkung. Wer keinen Appetit auf deftiges Essen hatte, ließ es sich mit einer guten Portion Zitronenkuchen und einem heißen Getränk gut gehen.
Gestärkt folgten wir dem natürlichen, kurvigen Lauf der Unstrut, vorbei an den ersten Weinbergen und historischen Bauwerken. Die nächste Herausforderung: Schleuse Tröbsdorf. Diese Schleuse war offenbar nicht für Ruderboote konzipiert. Mit ihren schrägen Wänden bot sie keinerlei Haltemöglichkeit – eine wackelige Angelegenheit für unsere schmalen Boote.

Unser Ziel erreichten wir bei Kilometer 19, dem Rast- und Biwakplatz Kirchscheidungen. Das "Anlegen" war eher ein kreatives Festmachen. Statt eines Stegs gab es nur eine kurze Treppe. Wir verteilten die Boote irgendwie, banden sie fest und ließen sie über Nacht im Wasser.
Nach der Rückfahrt und einer heißen Dusche spazierten wir zum Italiener "Castello" in Weißenfels. Die Stadt zeigte sich mit viel alter Bausubstanz von ihrer schönen Seite, auch wenn der Leerstand an vielen Gebäuden nagte. Kulinarisch war der Abend für mich ein kleiner Dämpfer: Mein Brokkoli al forno entpuppte sich als Nudelauflauf mit Brokkoli-Spurenelementen. Satt machte es trotzdem.
Die eigentliche Überraschung wartete bei der Rückkehr zum Hotel: Der Parkplatz war voll, Parkplatzwärter wiesen Autos ein. Der Grund: Das Oktoberfest und Disco-Zelt auf dem Festplatz war gestartet, UND ein Basketball-Bundesliga-Spiel (SYNTAINICS MBC vs. Telekom Baskets Bonn) füllte die angrenzende Stadthalle. Unser PKW mit Bootsanhänger fand keinen Platz mehr und musste die Nacht "inoffiziell" im Parkverbot verbringen. An Schlaf war für die Ohropax-Losen unter uns vorerst nicht zu denken – die Bässe wummerten bis tief in die Nacht.
Tag 3: Das Umtrage-Abenteuer und der Bouletten-Bus (03.10.2025)

Frühstück um 9 Uhr – und siehe da, meine Toilette funktionierte wieder! Der Vermieter hatte sich noch am Vortag gekümmert. Danke! Der Tag selbst war ein Traum: blauer Himmel, Sonne, etwas wärmer.
Am Biwakplatz in Kirchscheidungen mussten wir uns den "Steg" (also die Treppe) mit einer Kanugruppe teilen, was den Start verzögerte. Um 10:30 Uhr legte die "Müritz" als erstes Boot ab. Dann kam Peters großer Auftritt mit der "Amelungsborn". Er stieg über den Bug ein, um das Boot vom Liegeplatz zur Treppe zu manövrieren. Ich löste die Leine. Was folgte, war ein epischer Kampf. Nur mit einem Paddelhaken bewaffnet, unterschätzte Peter die Strömung leicht und musste kräftig arbeiten, um nicht flussabwärts zu treiben. Er schaffte es – unter Applaus (und vielleicht ein wenig Schmunzeln) der Umstehenden.

Die Strecke war wunderschön. Bäume bildeten eine herbstliche Allee über dem Wasser, die Sonne sorgte für ein magisches Lichtspiel. Bei der Schleuse Laucha (wieder schräge Wände ohne Halt) wurden wir unter anderem mit dem Anblick eines denkmalgeschützten Schleusenhäuschens belohnt – für mich die schönste Schleuse der Tour.

Doch dann, bei Kilometer 7.0: Schleuse Zeddenbach. Wegen Renovierungsarbeiten waren hier "Aussteigen und Tragen" angesagt. Das Raushohlen der Boote ging an einer Stelle mit Rasen noch gut. Die andere Seite der Schleuse war jedoch ein Albtraum für Ruderboote: nur steile Treppen. Ein normales Einsetzen hätte bedeutet, dass die Bootsspitzen untertauchen und die Boote volllaufen. Nach kurzer, ergebnisloser Suche nach Alternativen entschieden wir uns für eine kreative Lösung: Wir nutzten einen seitlichen, begehbaren Uferstreifen des Schleusenbauwerks. In einer Kette reichten wir die Boote die Treppe hinunter und konnten sie dann in einem flacheren Winkel seitlich zu Wasser lassen. Ein echter Kraftakt, aber es gelang!

Kurz darauf, bei Schleuse Freyburg (schräge, abgestufte Wände), konnten wir uns beim Schleusen an den Leitern festhalten. Danach ging es vorbei am Wehr und der Burgmühle Freyburg bis zum großen Moment: dem Zusammenfluss von Unstrut und Saale bei Kilometer 161,8.
Nach 400 Metern auf der breiteren Saale legten wir am Campingplatz "Blütengrund" für eine späte Mittagspause an (es war bereits 15:41 Uhr – das Umtragen hatte Zeit gekostet). Der Blick auf die Weinberge und die feiernden Menschen am anderen Ufer war fantastisch. Auf ein Übersetzen aufs andere Ufer mit der handbetriebenen Seilfähre verzichteten wir angesichts der Menschenmengen. Stattdessen gab es Selbstversorgung am Bus: Bouletten-Brötchen, Würstchen und Kameruner vom Bäcker.

Um 16:43 Uhr ging es weiter. Die Saale zeigte sich breit, mit spürbarer Strömung und tollen Ausblicken. Bei der Schleuse Oeberitz (Kilometer 151,5, wieder schräg, kein Halt) wurde es mit der einbrechenden Dämmerung empfindlich kalt. Jacken an!
Um 19:20 Uhr erreichten wir bibbernd das Ziel: den Weißenfelser Ruder Verein von 1884. Die Sonne war weg, es war eisig. Wir entschieden uns spontan, direkt im Bootshaus zu essen. Eine weise Entscheidung! Das Essen kam schnell, war gut, und es gab sogar eine Vorsuppe aufs Haus. Nach einem kurzen Fußweg zurück zur Stadthalle fielen wir müde in die Betten, während draußen das Oktoberfest weiterlief.
Tag 4: Schleusen-Hopping, Regen und ein Whiskey-Tasting (04.10.2025)
Nach dem Frühstück ging es um 10:15 Uhr direkt in die erste Schleuse des Tages: Beuditz (Kilometer 143,88). Diese hatte eine gerade und eine schräge Wand – wir hielten uns dankbar an die gerade. Kaum raus, ging es 700 Meter weiter in die Schleuse Brückenmühlen – wieder eine neue Bauform: zwei schräge Wände, wobei auf einer Seite plötzlich eine tückische Stufe auftauchte. Gut, dass wir auf der anderen Seite lagen.
Vorbei unter der alten Bogenbrücke ("Große Brücke") in Weißenfels erreichten wir die Schleuse Herrenmühlen, die gefühlt den größten Höhenunterschied aufwies. Das Wetter wurde schlechter. Regen war angesagt, und die Wolken wurden dichter. Auf der breiten Saale mussten wir einer Untiefe ausweichen, die aber gut zu sehen war.
Zur Mittagspause legten die ersten Boote beim Kanu Club Bad Dürrenberg an einem viel zu hohen Steg an. Die anderen Boote entdeckten den versteckten, flachen Anleger und machten es besser. Es gab wieder Selbstversorgung, diesmal war der Proviant im Boot verstaut: Bouletten, Würstchen und Kameruner. Vom Ufer aus konnten wir aus der Ferne das beeindruckende Gradierwerk von Bad Dürrenberg sehen.
Nach dem Ablegen ging es durch die Schleuse Bad Dürrenberg und direkt in den Regen. Jacken an! 600 Meter weiter kam eine historische Bogenbrücke mit ordentlich Strömung (das linke Tor ist eine Wildwasserstrecke!). Ab Kilometer 124,5 wurde die Saale zur Bundeswasserstraße – das hieß: kostenloses Schleusen!
Schleuse Merseburg-Rischmühle (Kilometer 115,2) war unsere erste mit Selbstbedienung. Schleuse Meuschau (Kilometer 113,5) hatte dann wieder einen Wärter. Der Regen hielt sich hartnäckig, aber zum Glück leicht.
Bei Kilometer 111,4 erreichten wir das Tagesziel: die Merseburger Rudergesellschaft. Ein wirklich schönes Vereinsgelände. Nachdem die Boote sicher an Land lagen, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof – eine längere Wanderung als gedacht, in voller Rudermontur durch Merseburg.
Der Fahrkartenautomat streikte, also beschlossen wir, auf die Kulanz der Zugbegleitung zu hoffen. Sie tauchte auf und half uns geduldig beim Ticketkauf im Zug. Zurück in Weißenfels spazierten wir bei Sonnenuntergang über die Große Brücke und an der Saale entlang zum Hotel.
Nach dem Duschen war Kulturprogramm angesagt: der Irish Pub "Battlefield". Guinness, Kilkenny und ein herzhafter Shepherd's Pie. Das Highlight des Abends war jedoch das spontane Whiskey-Tasting. Doris und Herbert, unsere Experten, kannten fast alle der 150 Sorten auf der Karte. Herbert wählte einen Whiskey für mich aus und erklärte die hohe Kunst des Genießens. Ich bin zwar kein sofortiger Fan geworden, aber es war eine deutlich bessere Einführung als mein erstes Mal vor zehn Jahren. Da ich auch kein Weinfan bin, bräuchte ich jetzt nur noch jemanden, der mir den Wein auf ähnliche Weise schmackhaft macht...
Tag 5: Der Endgegner Wind und die Heimfahrt (05.10.2025)
Letzter Tag. Mario musste uns leider schon am Morgen Richtung Berlin verlassen. Das bedeutete: beide Vierer fuhren heute mit Lücke. Nach dem letzten Frühstück im Hotel luden wir bereits alle Sachen in die Autos.
Das Wetter hatte sich gebessert: Sonne und Wolken im Wechsel. Auf dem Vereinsgelände in Merseburg machten wir die Boote für die letzte Etappe klar. Gegen 11:10 Uhr legten wir ab in einen schönen, aber windigen Herbsttag. Die Bäume zeigten erste Anzeichen ihres Herbstkleides.
Nach der letzten Schleuse, Planena (Kilometer 104,4, Selbstbedienung), warteten die härtesten 8 Kilometer der Tour auf uns. Der Wind frischte stark auf und kam direkt von vorn und wehte stromaufwärts. Zeitweise, besonders in der kleinen "Müritz", kamen wir trotz kräftiger Ruderschläge kaum voran. Es ist ein Anblick der Demut vor der Natur lehrt, wenn die Pflanzen am Ufer nicht mal im Schritttempo vorbeiziehen.
Nachdem der Fluss ein paar Kurven machte, ließ der gröbste Wind nach, und gegen 13:30 Uhr erreichten alle Boote erschöpft, aber glücklich das Ziel: die Hallesche Rudervereinigung Böllberg/Nelson e.V. (Kilometer 96,0).
Boote aus dem Wasser, abriggern, verladen. Um kurz vor 15 Uhr war alles reisefertig. Wir machten uns über die letzten Reserven (Kameruner, Nüsse, Würstchen) her und entdeckten noch eine Kuriosität auf dem Vereinsgelände, es war zum Glück kein Ruderboot. Danach traten wir die Rückfahrt nach Berlin an.
Nachwort und Schleusen-Statistik
Es war meine erste Wanderfahrt, und sie hatte alles, was man sich (vielleicht) wünscht:
- Schleusen: Wir hatten viele unterschiedliche Bauarten. Von komfortabel mit gerader Wand bis unmöglich mit schrägen Wänden ohne Halt. Schleusen mit Wärter, Schleusen mit Selbstbedienung und eine Schleuse zum Umtragen.
- Anleger: Von perfekten Stegen bis zu kurzen Treppen, an denen Anlegen eher "kreatives Festbinden" bedeutete.
- Wetter: Von mystischem Nebel über perfekten Sonnenschein bis zu Regen und Gegenwind.
- Action: Wackler, bei denen man kurz das Wasser im Boot wähnte, und zwei Feuerwehrübungen: eine Abseil-Aktion von einer Brücke und eine Bootsübung, deren Zweck wir aber nicht herausfinden konnten.
Zusätzliche Info: Die Schleusen an Unstrut und Saale (bis sie Bundeswasserstraße wird) sind kostenpflichtig. Man zahlt 5 Euro pro Boot und Tag pro Fluss. Fährt man wie wir von der Unstrut auf die Saale, wird an der ersten Saale-Schleuse erneut kassiert.
Eine rundum gelungene, intensive und wunderschöne Herbst-Tour!
nach oben